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Brasilien importiert fast die Hälfte des Bedarfs

12.01.2022

Brasiliens Chemiemarkt wächst. Doch immer öfter beziehen die Hersteller von Endprodukten Industriechemikalien aus dem Ausland.

Durch die rasche Erholung der brasilianischen Industrie lag die Nachfrage nach Industriechemikalien bereits 2020 deutlich über dem Vorkrisenniveau. Das kontinuierliche Wachstum der Landwirtschaft regt den Verbrauch von Agrarchemikalien an. Auch Farben und Lacke registrieren Wachstum. Der Konsum von Kraftstoffen zog im Juli 2021 deutlich an und lag nur noch leicht unter dem Vorkrisenniveau. 

Trotz der positiven Absatzentwicklung stocken die Investitionen in die Produktion von Basischemie. Die Importabhängigkeit des Landes stieg 2020 auf 46 Prozent an. Von der steigenden Importnachfrage profitieren insbesondere Chemikalien aus China, Indien und Marokko.

Steigende Kosten belasten die Produktion

Aufgrund der hohen Konzentration des Stromsektors auf Wasserkraft treibt die anhaltende Trockenheit die Tarife in die Höhe. Die zusätzliche Stromerzeugung über Erdgaskraftwerke droht zudem die Erdgasversorgung der chemischen Industrie weiter zu verteuern. Dabei lagen die Produktionskosten für Strom, Naphtha und Gas bereits deutlich über denen anderer Länder. Kurz bis mittelfristig verliert die brasilianische Chemieindustrie somit weiter an Wettbewerbsfähigkeit. 

Während der Absatz von Industriechemikalien in den ersten sieben Monaten 2021 um 12,3 Prozent anzog, steigerte die heimische Industrie die Produktion lediglich um 8,5 Prozent. Im gleichen Zeitraum legten die Importe um 15,3 Prozent zu. Besonders gravierend ist die Entwicklung bei Kunststoffen. Mit einer durchschnittlichen Kapazitätsauslastung der Anlagen von nur 77 Prozent verzehnfachte sich das Handelsbilanzdefizit im 1. Halbjahr 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Hersteller von Endchemikalien müssen die Kostensteigerungen weitergeben. Auch aufgrund der hohen Unsicherheit über die konjunkturelle Entwicklung halten sich die Investitionen in Grenzen. Produktions- und Energieeffizienz, Nachhaltigkeit sowie die Verbesserung der logistischen Abläufe stehen im Fokus der Chemieindustrie. Nur sehr vereinzelt werden Investitionsprojekte angekündigt. 

Öffnung des Gasmarkts läuft an

Das in diesem Jahr verabschiedete Gesetz 14.134/21 legt das Fundament zur Öffnung des Gasmarkts. Bislang passten jedoch nur 9 der 26 Bundesstaaten ihre Regulierung an den neuen Rahmen an, darunter Amazonas, Sergipe, Bahia, Espírito Santo, Minas Gerais, Rio de Janeiro, São Paulo, Santa Catarina und Rio Grande do Sul. Bis zur Ausreifung des Gasmarkts ist es noch ein weiter Weg. Immerhin schloss das private Vertriebsunternehmen Compass Gás e Energia der Cosan Gruppe bereits erste Lieferverträge mit den Großabnehmern Rhodia der belgischen Gruppe Solvay und mit dem norwegischen Düngemittelfabrikanten Yara ab. Auch Shell und der US-Konzern Excelerate Energy treten als Gasanbieter auf.

Bei Stickstoffdünger trägt Proquigel zur Produktionssteigerung bei. Im 1. Halbjahr 2021 nahm das Unternehmen der Gruppe Unigel den Betrieb in Camaçari (Bahia) und in Laranjeiras (Sergipe) auf. Der Pachtvertrag mit Petrobras für beide Fabriken läuft zunächst bis 2030. Zwei weitere Stickstoffverarbeitungsanlagen - UFN3 in Três Lagoas (Mato Grosso do Sul), die Petrobras bereits zu 81 Prozent errichtete, und Ansa in Araucária (Paraná) - will Brasiliens Ölkonzern verkaufen.

Gemischte Zukunftsaussichten für Basischemie

Neben der Entwicklung des Gasmarkts animieren erste Vorhaben zur Produktion von grünem Ammoniak den Sektor. Interesse bekundeten sowohl brasilianische Hersteller wie Unigel als auch ausländische Investoren wie der kanadische Konzern AmmPower, die französische Gruppe Qair, das australische Unternehmen Fortescue Future Industries und White Martins der Linde Gruppe mit Sitz in Irland.

Andererseits stellt das Ende von REIQ die petrochemische Industrie vor große Herausforderungen. Seit Juli 2021 läuft das Industrieförderprogramm etappenweise aus. Ab 2025 können die etwa 20 Unternehmen keine Steuervorteile mehr nutzen. Ohne Förderung kann die Chemieproduktion nicht im internationalen Wettbewerb bestehen, mahnen zahlreiche Branchenvertreter. Eine umfassende Steuerreform könnte die Weichen neu stellen. Doch ohne Vorhersehbarkeit dürften die Investitionen weiterhin mager ausfallen.

Umstrukturierung nimmt an Fahrt auf 

Trotz der hohen Unsicherheit treffen in der globalen Welle von Fusionen und Übernahmen auch brasilianische Aktiva auf das Interesse multinationaler Konzerne. Im August übernahm der thailändische Kunststoffkonzern Indorama Ventures (IVL) für 1,3 Milliarden US-Dollar (US$) Oxiteno der brasilianischen Gruppe Ultra. Vor dem Kauf des französischen PVC-Herstellers Kem One interessierte sich Apollo Global Management für Unipar. Mittlerweile strebt Unipar selbst eine Expansion an und erwägt Aktiva des Großkonzerns Braskem. Der Petrochemiegigant erlebt derzeit trotz guter Geschäftsergebnisse Verluste an der Börse, da beide Großaktionäre Novonor (vormals Odebrecht) und Petrobras ihre Aktienanteile verkaufen wollen. Petrobras veräußert darüber hinaus seinen Anteil an Deten Química. Zudem könnte der Ölkonzern den Petrochemiekomplex Copenor zum Verkauf anbieten. Unigel wiederum bereitet eine Kapitalerhöhung durch Börsengang vor. Für die kommenden zwölf Monate erwartetet die brasilianische Petrochemie M&A-Aktivitäten in einem Umfang von wenigstens 4,5 Milliarden US$.

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