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„Eine ganz neue Dynamik“

07.07.2023

Brasilien hat ideale Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff. Ein neues Kompetenzzentrum bei der AHK Rio lotet Chancen der Zusammenarbeit aus.

Brasilien erzeugt schon jetzt große Mengen an Strom aus regenerativen Quellen. Damit ist eine wichtige Grundlage gegeben für die Produktion von grünem Wasserstoff. Was sonst noch für den Standort spricht und wie Deutschland und Brasilien in diesem Bereich zusammenarbeiten, erklärt Ansgar Pinkowski im Interview. Der Experte leitet bei der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in Rio de Janeiro (AHK Rio) den Bereich Energiewende und Nachhaltigkeit im neu gegründeten Competence Center Green Hydrogen Brazil.

Herr Pinkowski, Deutschland will künftig grünen Wasserstoff von Brasilien beziehen, Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht von einer „grünen Brücke über den Atlantik“. Sie beschäftigen sich in Brasilien schon lange mit dem Thema. Wie schätzen Sie die Potenziale ein?

Brasilien bietet ideale geografische und klimatische Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff. Das Land hat kontinentale Ausmaße, es ist doppelt so groß wie die EU, aber nicht so dicht besiedelt. Ein weiterer Vorteil ist der sehr hohe Anteil an erneuerbaren Energien in Brasilien. 2022 wurden bereits 91 Prozent des Stroms regenerativ erzeugt. Zwar kommt der größte Teil bislang aus der Wasserkraft, doch Wind- und Solarenergie sowie Biomasse gewinnen an Bedeutung. Projekte mit einer Kapazität von einigen Hundert Megawatt sind in der Genehmigungsphase. Wir erleben einen echten Aufbruch. Man muss bedenken: Hier in Brasilien gibt es selbst in den Gebieten mit der geringsten Sonneneinstrahlung immer noch mehr Sonne als in den Regionen mit der höchsten Sonneneinstrahlung in Deutschland.

Wie weit ist Brasilien beim Einstieg in die Produktion von grünem Wasserstoff?

Die Zentralregierung in Brasília hat das Thema in den letzten Jahren kaum vorangetrieben – im Gegensatz zu einzelnen Landesregierungen. Bundesstaaten wie Ceará und Bahia im Nordosten des Landes haben sich stark engagiert und sind Vorreiter. Sie haben das Potenzial für sich erkannt. Der Nordosten ist industriell nicht so stark entwickelt und kann von der Produktion von grünem Wasserstoff enorm profitieren. Seit dem Amtsantritt von Präsident Lula da Silva Anfang 2023 gibt es aber auch bei der Zentralregierung eine verstärkte Tendenz, das Thema aufzugreifen – sowohl in den zuständigen Ministerien als auch in parlamentarischen Ausschüssen. Ich gehe davon aus, dass sich in den nächsten Jahren sehr viel tun wird.

Welche Pläne hat Brasilien konkret? Soll der Schwerpunkt beim grünen Wasserstoff auf dem Export liegen oder will das Land den wichtigen Energieträger selbst nutzen?

Genau darüber wird gerade diskutiert. Ich gehe davon aus, dass beides geschieht. Das Land ist so groß, dass es sowohl den Export bedienen als auch sich selbst mit grünem Wasserstoff versorgen kann. Für Brasilien ist das eine große Chance. Bislang ist das Land vor allem ein Exporteur von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen, etwa Eisenerz oder Soja und Mais. Die Wertschöpfung wird dabei meist nicht im eigenen Land gehalten. Die Wasserstoffproduktion bietet die Möglichkeit, das zu ändern. Brasilien kann dann selbst grünen Stahl herstellen oder auch grüne Düngemittel. Bei den Düngemitteln ist Brasilien als viertgrößtes Agrarland der Welt derzeit noch zu 80 Prozent abhängig von Importen, auch aus Russland. Mit grünem Wasserstoff lässt sich diese Abhängigkeit verringern. Dadurch entwickelt sich eine ganz neue Dynamik in Brasilien.

"Bis 2030 wird Brasilien eine starke Rolle im Export von grünem Wasserstoff haben."

Ansgar Pinkowski, AHK Rio de Janeiro

Einige Fachleute rechnen damit, dass schon 2025 der erste grüne Wasserstoff von Brasilien nach Deutschland geliefert wird. Halten Sie das für realistisch?

Es ist schwierig, Zeiträume zu nennen. Bis 2030 wird Brasilien auf jeden Fall eine starke Rolle im Export von grünem Wasserstoff haben. Bis spätestens 2040 wird auch der interne Markt sehr stark gewachsen sein. In Brasilien spricht man derzeit von einer Reindustrialisierung, also einer Neuausrichtung der brasilianischen Industrie, um grüne, nachhaltige Produkte auf der Basis von grünem Wasserstoff herzustellen und so die Wertschöpfungskette zu vertiefen. Ich gehe davon aus, dass sich im Nordosten eine exportorientierte Industrie entwickeln wird, die den grünen Wasserstoff aus Wind- und Solarenergie erzeugt. Das bietet sich an, weil beispielsweise der Transport nach Rotterdam nur neun Schiffstage braucht. Auch die USA sind nicht weit entfernt.

Wie sieht es im Süden des Landes aus?

Dort wird sich nach meiner Einschätzung eine grüne Wasserstoffproduktion aus Biomasse etablieren. Denn hier liegen sowohl die Agrar- als auch die Industriezentren Brasiliens. Mit Biomasse ist übrigens nicht Holz gemeint – die neue Regierung hat sehr klar verdeutlicht, dass die Wälder des Landes besser geschützt werden sollen. Vielmehr geht es um landwirtschaftliche Abfälle, die im Agrarbereich anfallen und bislang kaum genutzt werden, etwa Gülle. Den Wasserstoff aus Biomasse wird man dann vor allem für die eigene Versorgung nutzen.

Deutschland unterstützt Brasilien beim Aufbau einer grünen Wasserstoffproduktion. Wie ist die Resonanz?

Das Interesse ist schon länger sehr groß und noch mehr gewachsen, seit Deutschland 2020 seine Wasserstoffstrategie vorgelegt und später mehrere Förderprogramme aufgesetzt hat. Ich führe sehr viele Gespräche, biete Kurse und Workshops an. Während der Corona-Pandemie habe ich an die 100 Webinare zu dem Thema gemacht. Auch mit Vertretern des Bundesstaats Ceará. Sie sind sofort auf den Zug aufgesprungen, mittlerweile fließen dort sehr viele Investitionen. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man sieht, dass sich durch unsere Gespräche etwas entwickelt hat.

Quelle: deutschland.de